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14 min

Chronische Schmerzen: Was du tun kannst und warum sie manchmal bleiben

Mann kommt nicht von der Couch auf, wegen seiner chronischen Schmerzen
Maryke Louw - Leitendende Physiotherapeutin bei Exakt Health
Maryke Louw
May 21, 2025
Medizinisch geprüft von
Kim Van Deventer
Dieser Artikel könnte hilfreich für dich sein, wenn du hartnäckige Schmerzen hast (ob leicht oder stark), die einfach nicht nachlassen und keine eindeutige Ursache haben.

Chronische Schmerzen können zermürbend sein. Sie können das Gefühl vermitteln, etwas verloren zu haben, weil du auf Dinge verzichten musst, die du liebst. Besonders frustrierend ist es, wenn Ärzt:innen keine klare Ursache finden.

Um zu verstehen, warum Schmerzen manchmal nicht verschwinden, und wie du sie lindern kannst, ist es hilfreich, sich anzusehen, wie Schmerzen im Körper entstehen und was ihre Intensität beeinflusst.

Wie Schmerzen im Körper entstehen

Körpersensoren

Stell dir Körpersensoren wie kleine Knöpfe vor, die bei Druck Signale zwischen deinem Körper und deinem Gehirn senden. Je stärker oder häufiger sie gedrückt werden, desto mehr Nachrichten schicken sie.

Millionen solcher Sensoren überwachen verschiedene Reize wie Temperatur, Druck, Dehnung, Bewegung und chemische Veränderungen. Sie senden kontinuierlich Informationen über das, was in ihrer Umgebung passiert, über das Rückenmark an dein Gehirn.

Beispielsweise sind die Sensoren, die die Dehnung deiner Muskeln und Sehnen überwachen, im Schlaf inaktiv, da ihre „Knöpfe“ nicht gedrückt werden. Während einer Yogastunde hingegen feuern sie häufig, weil deine Muskeln stark gedehnt werden.

Das Unterbewusstsein

Dein "unbewusstes Gehirn" ist äußerst leistungsfähig. Es steuert viele automatische Funktionen wie Atmung, Herzschlag, Blinzeln und Reflexe.

Es verarbeitet ständig alle Reize, die dein Körper wahrnimmt, und fungiert als Filter, der entscheidet, welche Signale wichtig sind und welche ignoriert werden können. Zudem passt es deine Reaktionen an, um die empfangenen Signale innerhalb eines bestimmten Bereichs zu halten.

Jedes Unter

bewusstsein hat einen Schwellenwert dafür, was es als sicher und ab wann es Reize als potenziell gefährlich einstuft – sei es bei Druck, Dehnung, Temperatur usw. Erst wenn die Reize diesen Schwellenwert überschreiten, wird Schmerz erzeugt und als solcher registriert.

Entgegen der landläufigen Meinung gibt es keine speziellen „Schmerzsensoren“. Vielmehr erzeugt dein Uterbewusstsein den Schmerz, um deine Aufmerksamkeit zu erregen und dich vor potenzieller Gefahr zu warnen.

Interessanterweise sind diese Schwellenwerte nicht fix, sondern können sich verändern – je nach verschiedenen Faktoren, auf die wir später eingehen.

Der Zweck von Schmerz

Warum erzeugt dein Gehirn Schmerzen? Weil es dich schützen will.

Schmerz ist ein Warnsignal, das dich auf potenzielle Gefahren aufmerksam macht und dich dazu bringt, Maßnahmen zu ergreifen, um weiteren Schaden zu vermeiden.

Wenn du beispielsweise eine heiße Herdplatte berührst und deine Hauttemperatur stark ansteigt, wirst du Schmerz empfinden. Oder wenn du beim Laufen plötzlich die Richtung änderst und deine Sprunggelenksmuskeln sich zu schnell dehnen, wirst du ebenfalls Schmerz verspüren.

In beiden Fällen warnt dich der Schmerz davor, die Hand von der heißen Platte zu nehmen oder das Sprunggelenk nicht zu überdehnen.

Schmerzintensität entspricht nicht immer dem Ausmaß der Verletzung

Idealerweise tritt Schmerz bei einer Verletzung auf und lässt nach, wenn die Verletzung heilt. Doch Forschungen haben gezeigt, dass ähnliche Verletzungen auf einem MRT unterschiedliche Schmerzempfindungen hervorrufen können.

Röntgenbild einer Hüfte & Wirbelsäule

Das bedeutet, dass selbst bei identischen strukturellen Veränderungen einige Menschen starke Schmerzen verspüren, während andere nur leichte oder gar keine Schmerzen haben. Manchmal bleiben die Schmerzen auch bestehen, obwohl die Verletzung längst verheilt ist.

Warum ist das so?

Einschätzung und Wahrnehmung bei der Schmerzenwticklung

Wenn dein Gehirn einschätzt, wie gefährlich eine Situation ist – und damit, wie stark der Schmerz sein sollte, den es erzeugt –, berücksichtigt es nicht nur Gewebeschäden.

Es versucht auch vorherzusagen, welche Auswirkungen eine Verletzung auf Dinge haben könnte, die dir sehr wichtig sind – zum Beispiel deinen Job, deine finanzielle Sicherheit, dein soziales oder familiäres Leben oder deinen Sport.

Dazu wertet es deine bisherigen Erfahrungen in ähnlichen Situationen aus, deine Überzeugungen darüber, was gerade passiert, sowie neue Informationen, die du aus deinem Umfeld – von Menschen oder Dingen – aufgenommen hast.

Auf dieser Grundlage kann dein Gehirn den Schmerz entweder verstärken oder abschwächen.

Zum Beispiel kann dein Gehirn den Schmerz verstärken, wenn:

  • du bei einer früheren Verletzung ein wichtiges Ereignis verpasst hast,
  • du glaubst, dass du nie wieder gesund wirst,
  • dir jemand sagt, dass du wegen der Verletzung nie wieder laufen kannst.

Aber das Gegenteil ist ebenfalls möglich. Studien zeigen, dass sich Schmerzintensität sofort verringern kann, wenn Menschen eine positive Diagnose erhalten oder erfahren, dass ihre Verletzung nicht so schlimm ist, wie sie dachten.

In diesen Fällen hat sich die Verletzung selbst nicht plötzlich verändert – die Betroffenen haben lediglich ein neues Verständnis ihrer Situation gewonnen, was ihre Wahrnehmung beeinflusst hat.

Ihr Gehirn bewertete die Situation daraufhin als weniger gefährlich, senkte die Bedrohung – und reduzierte dadurch auch die Schmerzintensität.

Doctor explaining the reasons behind the patients persistent pain.

Stresshormone

Dein Gehirn überwacht auch den Spiegel der Stresshormone in deinem Blut. Diese Hormone werden in stressigen Situationen ausgeschüttet – zum Beispiel bei beruflichem Stress, einem Streit mit dem Partner oder dem Verlust eines geliebten Menschen.

Wenn dein Gehirn einen erhöhten Spiegel dieser Hormone erkennt, geht es davon aus, dass du in Gefahr bist. Infolgedessen kann es Schmerzen erzeugen oder bestehende Schmerzen verstärken, um dich zu schützen.

Schmerz ist immer kontextabhängig. Er kann durch alles beeinflusst werden, was du siehst, hörst, riechst, schmeckst und berührst. Auch die Worte, die du dir selbst sagst oder von anderen hörst, sowie deine Gedanken, Vorstellungen und Überzeugungen prägen deine Schmerzerfahrung.

Chronische Schmerzprogrammierung

Studien deuten darauf hin, dass dein Nervensystem sich anpasst und effizienter darin wird, Schmerzen zu erzeugen, wenn du länger als drei Monate Schmerzen hast.

Typische Veränderungen, die bei anhaltenden Schmerzen auftreten, sind:

  • Es entstehen mehr Sensoren im betroffenen Bereich
  • Diese Sensoren reagieren schneller und empfindlicher – also schon bei geringeren Reizen
  • Das Rückenmark leitet Schmerzsignale schneller weiter und verstärkt sie
  • Dein Gehirn überschätzt die Bedrohung durch die Verletzung und erzeugt Schmerz in einer Intensität, die nicht mehr dem tatsächlichen Gewebeschaden entspricht (z.B. selbst dann, wenn die Verletzung längst verheilt ist)

Wie du siehst, wird dein Nervensystem bei chronischen Schmerzen sozusagen „scharfgestellt“, um schnell und intensiv Schmerz zu erzeugen. Doch wie äußert sich das im Alltag?

Erinnere dich daran, wie es war, bevor du verletzt warst. Wahrscheinlich hast du beim Laufen oder bei intensiven Workouts immer mal wieder leichte Zwicken oder Schmerzen gespürt. Diese kleinen Signale haben dir geholfen einzuschätzen, wie weit du dich belasten kannst, ohne dir zu schaden.

Solche Warnzeichen traten vermutlich in verschiedenen Körperregionen auf – verschwanden aber meist sofort wieder nach dem Training oder der Aktivität.

Bei chronischen Schmerzen ist dein Gehirn dagegen ständig in Alarmbereitschaft, weil es befürchtet, dass sich eine Verletzung entwickeln oder verschlimmern könnte.

Deshalb schickt es dir diese Warnzeichen häufig – und zwar lange bevor überhaupt eine Verletzung entsteht. Manchmal schon bei kleinster Anstrengung oder Aktivität.

Für manche Personen reicht sogar allein der Gedanke an Bewegung oder das Wort „Training“ aus, um Schmerzen auszulösen.

Wenn du schon lange Schmerzen hast, kann allein der Gedanke an Bewegung oder das Hören des Wortes „Training“ Schmerzen auslösen.

Wie du chronische Schmerzen „umprogrammieren“ kannst

Die gute Nachricht ist: Diese Veränderungen sind reversibel. Mit Geduld und Ausdauer kann dein überempfindliches „Alarmsystem“ sich wieder beruhigen – selbst wenn du schon länger als drei Monate unter anhaltenden Schmerzen leidest.

Wichtig ist, zu verstehen, dass Schmerz nicht gleichbedeutend mit Gewebeschaden ist.

Allerdings solltest du den Schmerz nicht ignorieren oder dich zwingen, ihn zu überwinden. Wenn dein Unterbewusstsein überzeugt ist, dass Bewegung noch nicht wieder als sicher einzustufen ist, wird es den Schmerz verstärken.

In den meisten Fällen funktioniert „Kopf über Schmerz“ nicht, weil dein Unterbewusstsein deinem bewussten Verstand nicht zutraut, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

Dein Hauptziel sollte sein, deinem Unterbewusstsein zu versichern, dass Bewegung sicher ist.

1. Bewegung innerhalb eines akzeptablen Schmerzbereichs

Studien zeigen, dass verschiedene Übungen und Aktivitäten dabei helfen können, Schmerzen zu lindern und das Schmerzsystem neu zu programmieren.

Dazu gehören zum Beispiel Spazierengehen, Radfahren, Schwimmen, Dehnübungen, Rumpftraining, Kraftübungen, Yoga und Pilates. Welche Aktivität für dich geeignet ist, hängt davon ab, in welchem Bereich deines Körpers du Schmerzen hast. Deine Physiotherapeutin oder dein Physiotherapeut kann dir dabei helfen, das Richtige für dich zu finden.

Wichtig ist, dass du auf einem Niveau beginnst, das für dich (bzw. für dein Unterbewusstsein) nicht bedrohlich wirkt – und dieses Niveau dann langsam steigerst, sobald du dich daran gewöhnt hast.

So kannst du deine Aktivitäten und Übungen einschätzen und anpassen

1
Stellt sich bei dir schon beim Gedanken an die Bewegung Unruhe oder Angst ein?
Dann starte mit noch weniger oder wähle eine andere, weniger belastende Aktivität.
2
Bist du die Belastung bereits gewohnt und deine Schmerzen verschlimmern sich nach einer Übung oder Aktivität?
Dann ist es Zeit, die Belastung etwas zu steigern oder die Intensität leicht zu erhöhen, um dir eine neue Herausforderung zu setzen.
3
Führt die Aktivität zu einem deutlichen Schmerz-Rückschlag?
Studien zeigen, dass ein leichter Anstieg der Schmerzen (bis Level 3/10) während der Bewegung oder beim Training in der Regel unbedenklich, und auch zu erwarten, ist. Vorausgesetzt: der Schmerz kehrt innerhalb von 24 Stunden auf das Ausgangsniveau von vor der Aktivität zurück und bleibt nicht auf dem neuen Level.

Wenn sich die Schmerzen jedoch deutlich verschlimmern oder länger als 24 Stunden anhalten, hat dein Unterbewusstsein diese Aktivität vermutlich als unsicher eingestuft. In diesem Fall solltest du die Intensität besser etwas zurücknehmen.

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2. Mit Rückschlägen rechnen

Die Heilung einer Verletzung verläuft nie linear. Stattdessen ähnelt sie eher einer Wellenlinie mit Fortschritten und Rückschlägen.

Wenn du also einen Rückschlag erlebst, denke daran: Schmerz bedeutet nicht gleich Verletzung – gib deinem Körper die Zeit, sich zu beruhigen.

Praktische Tipps, wie du dabei am besten vorgehst, findest du in unserem Artikel „So gehst du mit schmerzhaften Rückschlägen bei Verletzungen um“.

Mit der Zeit wirst du feststellen, dass die Phasen des Fortschritts häufiger und länger werden. Rückschläge treten seltener auf, verlaufen weniger intensiv, und deine Schmerzen klingen schneller ab.

Hilfreiche Artikel

3. Stresshormone reduzieren

Da die Ausschüttung von Stresshormonen zu einer erhöhten Schmerzwahrnehmung führen kann, kannst du kannst du gezielt Maßnahmen ergreifen, um deine Stresshormone zu reduzieren, wenn du vermutest, dass ein hoher Stresspegel deine Schmerzwahrnehmung beeinflusst.

Dazu gehören:

  • Hilfe suchen, um schwierige Situationen zu lösen
  • Mit jemandem sprechen, wenn du dich überfordert fühlst
  • Für ausreichend erholsamen Schlaf sorgen
  • Dir regelmäßig Zeit für Erholung und Entspannung nehmen
  • Atemübungen machen
  • Meditation und Achtsamkeit praktizieren
  • Deine Arbeitsgewohnheiten verändern

4. Überprüfe deine Denkmuster

Auch deine Gedanken und Überzeugungen können einen starken Einfluss auf dein körperliches Wohlbefinden haben.

Deshalb ist es wichtig, regelmäßig innezuhalten und deine Einstellungen zu deiner Verletzung zu reflektieren – vor allem solche, die dein Bedrohungssystem unbewusst aktivieren könnten.

Typische ungünstige Überzeugungen, die in Studien identifiziert wurden, sind zum Beispiel:

  • „Wenn ich Schmerzen spüre, bedeutet das, dass ich mich verletzt habe.“
  • „Starke Schmerzen bedeuten, dass etwas ernsthaft nicht stimmt.“
  • „Ich werde nie wieder laufen oder Sport machen können.“
  • „Wenn ich wieder mit dem Training beginne, wird alles nur noch schlimmer.“
  • „Durch Bewegung werde ich mich verletzen.“

Diese Gedanken sind verständlich – aber sie können deine Heilung verzögern, wenn du ihnen dauerhaft Glauben schenkst.

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Fazit

  • Schmerz bedeutet nicht immer, dass eine Verletzung vorliegt oder dass schwerwiegend ist. Du kannst eine leichte Verletzung mit starken Schmerzen haben, ebenso wie eine schwere Verletzung mit kaum Schmerzen oder sogar starke Schmerzen ganz ohne Verletzung.
  • Dein Unterbewusstsein erzeugt Schmerz, wenn es glaubt, dass du in Gefahr bist – je nachdem, wie bedrohlich es die Situation einschätzt, wird der Schmerz verstärkt oder abgeschwächt.
  • Schmerz bleibt bestehen, solange dein Unterbewusstsein das Gefühl hat, du befindest dich in Gefahr.
  • Schmerz nimmt ab, wenn dein Unterbewusstsein überzeugt ist, dass die Gefahr vorüber ist.
  • Schmerz ist multidimensional – dein Unterbewusstsein berücksichtigt Stresshormone, Erinnerungen und Überzeugungen und versucht einzuschätzen, welche Auswirkungen die Verletzung auf dein Leben haben könnte. Erst dann entscheidet es, wie hoch das Bedrohungsniveau ist und wie viel Schmerz erzeugt wird, um dich zu schützen.
  • Wenn du länger als drei Monate unter Schmerzen leidest, wird dein Nervensystem in der Regel überempfindlich. Dadurch reagiert es schneller und intensiver mit Schmerz – dein Gehirn erzeugt den Schmerz dann quasi auf Knopfdruck.
  • Diese Überempfindlichkeit lässt sich rückgängig machen, indem du deinem Unterbewusstsein zeigst, dass Bewegung sicher ist. Dafür solltest du dein Aktivitätsniveau langsam steigern und gleichzeitig Stressfaktoren sowie hinderliche Überzeugungen gezielt angehen.
  • „Kopf über Schmerz“ funktioniert nicht, weil dein Unterbewusstsein deinem bewussten Verstand nicht zutraut, verantwortungsbewusste Entscheidungen für deine Sicherheit zu treffen.
Maryke Louw - Leitendende Physiotherapeutin bei Exakt Health
Maryke Louw
Maryke ist die medizinische Leiterin bei Exakt Health. Sie hat einen einen Master (M.Sc.) in Sport-Physiotherapie und ist ein qualifizierter Gesundheitscoach. Maryke bringt mehr als 15 Jahre Erfahrung als Physiotherapeutin mit sich. Sie hat unter anderem 8 Jahre in einem der führenden britischen Zentren für Sportmedizin in East Sussex gearbeitet. Sie hat bereits Eliteläufer in Äthiopien betreut und war Mitglied des medizinischen Teams bei den Commonwealth Games 2014 in Glasgow, den European Games 2015 in Aserbaidschan und den IAAF World Championships und World Para Athletics Championships 2017 in London.
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